...das erstmal sacken lassen, diesen Tag. Ist der wirklich wahr gewesen? Hat mir heute jemand tatsächlich nebenbei auf dem Silbertablett etwas hingelegt, was ich in meinen wildesten Träumen immer wollte und von dem ich nienienie gedacht hätte, es auch zu bekommen?
Vielleicht ein Grund dafür, dass ich es für mich behalten habe, heute abend. Und es solange für mich behalte, bevor ich es wirklich schwarz auf weiß lese und es dann eh die ganze Branche weiß.
Weil ich es selbst noch nicht ganz glaube. Das kann nicht sein. Ich bin da, wo ich mich selbst nie gesehen hätte. Unfassbar.
...mich in ein paar Stunden ins Flugzeug zu setzen, einen Teil meines Ichs abzulegen und mich eineinhalb Wochen aus dem Koffer und aus einem Trolley mit viel mobilem digitalen Zeugs zu definieren?
Ich hätte noch stundenlang weiter am Wasserrand sitzen und so tun können, als könnte ich irgendjemanden retten, wenn er gerade beschließt zu ertrinken. Ich liebe die Sonne, das Wasser, das Beobachten, die Geräusche um mich rum.
Vorbei. Ich solle mich nicht wundern, wenn sich die inhaltliche Fokussierung des Panels, auf dem ich übernächste Woche die Rampensau geben soll, leicht geändert habe, stand vorhin in einer Mail. Aber man habe halt Verpflichtungen, weswegen ich jetzt als einziger Praktiker zwischen lauter Dottores und Professoren meinen Senf absondern soll. Angekündigt war anderes. Völlig anderes.
Die werden sich wundern. Ich kenne das Spiel. Das sind die Leute, die mich vorsorglich regelmäßig mit "Herr Doktor" anreden, obwohl ich nie ne Uni von innen gesehen habe. Und die dann ziemlich entsetzt schauen, wenn ich ihnen mit aller Freundlichkeit, zu der ich in der Lage bin, erkläre, dass ich Autodidakt bin und mich akademische Weihen einen Scheißdreck interessieren und dass ich nicht einmal einen vorzeigbaren Schulabschluss habe. Ich habe keinen MBA und keinen sonstigen grenzwertigen Titel, und wisst ihr was? Ich bin verdammt stolz drauf.
Und dass die Theorien, die ich vertrete, vielleicht absurd, aber wenigstens meine eigenen sind. Dass mich ihre Zahlen und ihr Rumgehampere mit irgendwelchen Studien von irgendwelchen Researchern nicht interessieren. Ohja, und ich werde natürlich funktionieren: Unlängst fing ein Professor bei einem Panel in München an zu salbadern, die parlamentarische Demokratie sei in allerhöchster Gefahr. Es blieb seine letzte Wortmeldung an diesem Tag, mein ältester Freund wird verstehen warum. Ich kann Leute mit freundlichem Lächeln im Gesicht hinrichten, wenn ich dazu in der Stimmung bin. Deswegen hat man mich ja eingeladen, nehme ich an. Einer fürs Spektakel unter den abgehobenen Soziologen.
Glaubt ihr, das funktioniert? Ich denke nicht im Traum dran. Ich kann mich ebenso gut zwei Stunden hinsetzen und gar nichts sagen, ich bin kein dressiertes Tier im Zoo, dass man mal eben in der Akademikerfalle vorführt. Ich reagiere ziemlich aggressiv auf Titel- und Trophäensammler und für deren Entertainment bin ich auch nicht zuständig.
Versuche nie, mich einzufangen. Du schaffst es ohnehin nicht.
Paul wird 64. Meine Güte, das treibt mir die Tränen in die Augen. Beatles, das sind, kein Witz, einer der vermutlich wichtigsten Teile meines Lebens. Angeblich, zumindest laut Erzählungen, saß ich als Zweijähriger vor dem Plattenspieler und bin bei den Beatles mitgewippt. Ich kann mich erinnern an Let it be, als man mir, dem damals fünfjährigen Stöpsel erklärte, dass das die letzte Platte der Beatles sei, und dass ich unterschwellig kapierte, dies müsse etwas ganz furchtbar Schlimmes sein. Ich weiß, dass Paperback Writer eines meiner ersten Lieblingslieder war und dass ich mit 30 Jahren entdeckte, dass "You and I" (siehe Video) eines der wunderbarsten Stücke aller Zeiten ist. Ich höre heute noch Beatles-Platten immer wieder neu, bei Sgt. Pepper oderAbbey Road entdecke ich auch nach dem 736. Hören Dinge, die mir bis dahin verborgen geblieben waren.
Niemand treibt meine versteckten Emotionen derart in Aufruhr...ich kann schreien, toben, weinen, lachen und mich gelegentlich auch furchtbar über Pauls Schmusepopper-Phase ärgern (unerträglich!), aber ich höre in jeder Note, in jedem Takt das Genie von vier Autodidakten. Genie - nicht gelerntes, kein Fleiß, nichts abgeschriebenes, erarbeitetes, einfach nur unglaubliche, wahnwitzige Begabung.
Bitte verschont mich mit Kommentaren, dass John der Genialere der beiden war. Erstens: stimmt das nur sehr eingeschränkt. Zweitens: John ist tot, leider. George auch. Ringo war immer für die Stimmung wichtig, Paul wird 64. Das Leben geht vorüber, so wie die Beatles nur noch Geschichte sind. Natürlich war mir klar, dass Pauls letzte Tour eine Art Beatles-Revival ist, mehr nicht - aber es war mir soooo unendlich wichtig, dabei gewesen zu sein. Seitdem war ich nie wieder auf einem Live-Konzert und ich wüsste auch nicht, welches ich noch sehen wollte. (Korrektur: Doch, ich war noch bei Paul Weller, sehr nett, sehr großartig, very cool...aber nach McCartney bringt mich nichts mehr aus der Fassung).
Seit Stunden läuft hier im ansonsten sturzbescheuerten Bayern 3 das McCartney-Geburtstagsspecial. Ich werde gerade von einer emotionalen Welle zur anderen geschmissen...so lucky, so happy, so sad.
Aus gegebenem Anlass stelle ich für mich selbst fest, irgendwie eine multiple Persönlichkeit zu sein, was eindeutig besser klingt als schizophren. Die Wendungen des heutigen Tages haben allerdings sogar mich geschafft. Da sind ein paar Seiten an mir zutage getreten, die ich bisher selbst nicht kannte, und das will nach sovielen Jahrzehnten was heißen.
Momentan jedenfals fehlt es mir an Konzentration. Ich sollte eigentlich einen halbwegs ernsthaften Buchbeitrag schreiben und kann es nicht, schiebe es permanent vor mir her. Ich soll in vier Wochen ein paar hochbegabte Eleven für eine Woche unterrichten und fürchte ein Desaster wg. mangelnder Ernsthaftigkeit bzw. latentem Hang zu Unverblümtheiten meinerseits. Unverblümtheit würde bedeuten, dass ich ihnen sage, dass man Kreativität nicht lernen kann (und meine schon gar nicht) und dass man zur Kreativität auch ein paar Ansätze freien Denkens braucht und sich nicht dauernd in seinen Käfig zurückziehen darf, nur weil man Angst vorm Fliegen hat. All das würde ich nach der Entdeckung der neuesten multiplen Variante gerne sagen, und auch, dass es mir zunehmend schwerer fällt, U-30-Leute irgendwie ernst zu nehme, selbst wenn sie noch so sehr Elite-Eleven sind - auch wenn das natürlich polemisch und schwachsinnig ist. Nungut, nachdem ich gelegentlich auch ganz charmant sein kann, halte ich besser den Mund und sage NICHT, was ich denke, obwohl ich das möglicherweise noch viel öfter tun sollte. Täte aber einigen Leuten ganz bitter weh.
Ob ich bei den nächsten Panels einfach mal ein paar Leute handfest dumm anquatsche? Ich mag nicht mehr mit Menschen ohne messbare Erfahrung und ohne messbares Können mich auseinandersetzen müssen.
Das Gewitter, das ich erahnte, war gar keins. Kaum war ich auf meiner Laufpiste, kam die Sonne zurück.
Intelligenterweise fand ich heute, es wäre eine gute Idee, ganz in schwarz zu laufen.
Nicht mal die Outdoor-Dusche hat mich abgekühlt. 30 Grad immer noch, wunderbar, auch wenn ich gerade gefühlte 70 vor mir hertrage. Aber der Kopf ist wieder ausgelüftet. Einen der beiden Schizophrenen habe ich verjagt, vorerst.
Nun gut, mein Freund, wenn ich schon dabei bin, gerade durch eine Zeitreise zu taumeln, obwohl ich dorthin eigentlich nicht mehr zurück will und auch nicht zu Sentimentaliäten neige...
...den hier habe ich noch gefunden. Leider nicht in der wunderbaren 7-Minuten-Ausführung. Den Song mag ich als einen der wenigen heute noch, das Video ist gewohnt limtiert. Ein paar nette Ansätze, aber ansonsten immer der irrige Glaube, man könnte es geil finden, Rockstars von oben, unten, seitlich und der Totalen zu sehen. Nun gut, lange her, das.
Und ab sofort...hol mich bitte wieder im Hier und Heute ab.
...seinen Kopf verlieren und seine Identität und seinen klaren Verstand, wenn man zuviel im Cyberspace unterwegs ist? Ja. Kann man. Ich muss mal eben hier raus. Ich will nicht als schizophrene Ruine enden.
Ok, mein ältester Freund - bringen wir erst mal die Formalia hinter uns. Natürlich sind die Typen völlig unerträglich, die Frisuren bizarr, das Video unterirdisch einfallslos und die Musik aus ernsthafter und heutiger Sicht pathetisches Konsens-Schweinerock-Gedudel.
Und obwohl das so ist, völlig unbestritten, obwohl mein toter Großvater solche musikalische Einfallslosigkeit in seiner typisch humorlosen Ernsthaftigkeit gegeißelt und mir damit wieder ein schlechtes Gewissen und ein Gefühl völliger Unterlegenheit vermittelt hätte, trotzdem kann ich es immer und immer wieder hören. Weil es für eine ganze Zeit steht, für ein ganz persönliches Erlebnis, für die hoffnungslose Suche nach sich selbst, für genialische Ideen in einem trostlosen Umfeld, das jede Form von Genialismus bestenfalls als bizarr-lustig abgetan hat.
Wir haben uns immer Briefe geschrieben, erinnerst du dich? Briefe? Ok, anders...wir haben kommuniziert. Ich hab gequatscht und du hast mich ggf. mit zwei Worten wieder auf den Boden geholt.
Wusstest Du, dass sie blond ist? Denk dir die 80er-Frisur einfach weg. Ich hatte das Video bis heute merkwürdigerweise noch nie gesehen, aber ich hatte immer das unbestimmte Gefühl, sie müsse blond sein.
Samstag in einer Woche, mein ältester Freund. Meine Mutter feiert einen runden Geburtstag, deine lebt nicht mehr.
Heute abend gibt es Weißbier. Aus Weißbiergläsern. Kein Kölsch aus Kölschgläsern. Heute abend gibt es WM unter strahlend blauem Himmel. Und keine Domplatte.
Muss mich irgendwie daran gewöhnen, dass alles anders läuft, als ich es jemals geplant habe. Mobiles Equipment noch verstärken. Mini-PC, mobiles Navi, Flybook, UMTS-Handy. Kameras sind inzwischen da. Fernsehtauglich und trotzdem superklein. Irgendwann werde ich diesen Management-Kram wieder hinwerfen und das machen, was ich glaube zu können: Geschichten erzählen. Was ich dazu brauche, passt in einen Rucksack.
Obwohl, das mit dem digitalen Zeug muss ich mir nochmal überlegen. Mein Digital-Trolley hier am Flughafen, Köln-Bonn, Gate B 50, LH-Flug 1277 (30 Minuten Verspätung), ist schwerer als der Trolley mit den Klamotten. Und welches Kabel wohin gehört, ist morgens inzwischen ein echtes Kniffelspiel. Und wo soll überhaupt noch Platz sein für weitere Gadgets? Auf der anderen Seite, wie sollte ich es ohne Gadgets übernächstes WE in OWL überhaupt aushalten.
Ich habe inzwischen, das als erstaunlichste Erkenntnis zwischendrin, eine gewisse Sympathie für Köln entwickelt. Liegt vielleicht auch daran, dass ich aufgehört habe, es immer mit München zu vergleichen. Es wird sich nie was dran ändern, dass es, wenn es hier Sommer ist, einfach nur drückt, ansonsten aber alles gleich bleibt. München, resp. der Süden, beide leuchten in der Sonne. Köln und das Rheinland schwitzen einfach nur.
Trotzdem: Man kann es schlimmer erwischen als in Köln, ganz eindeutig. Sie sind ja ganz lustig hier, gelassen, entspannt, nicht in diesem psedometropolitanischen Geschwafel wie Berlin verloren und auch nicht so unterkühlt wie die Hanseaten und nicht ganz so schickihaft wie München, Hauptstadt der New-Economy-Bewegung. Gemütlich, ich glaube, das trifft es ganz gut. Gemütlichkeit ist zwar nicht gerade meine hervorstechendste Eigenschaft und auch nicht das, was ich an Menschen am meisten schätze, aber es gibt schlimmere Eigenschaften.
Also, lernen wir jetzt mal Köln kennen, allzu viele extravagente Stationen meine Berufslebens werden ja nun auch nicht mehr kommen.