Die Einladung freute mich zunächst, ehe mir klar wurde, dass ich mich auf eine terra incognita begeben würde. Nur ein einziges Mal war ich nach dem Fall der Mauer im Osten Deutschlands, Berlin ausgenommen. Vermutlich weil ich der Inbegriff dessen bin, warum sich Westen und Osten immer noch nicht wirklich kompatibel gemacht haben.
Ich war immer ein Wessi. Ein ultratypischer. Keine Verwandten oder Bekannten drüben, niemals Care-Pakete hingeschickt, das solide Halb-Wissen über "drüben" aus der Tagesschau oder anderen Klassikern bezogen. Viel entscheidender dabei aber: Während das "Wissen" solides Halbwissen war, war das Interesse am Thema - bei Null. Ich habe bis 1989 nicht eine Sekunde an sowas wie eine "Wiedervereinigung" gedacht, alles andere hielt ich für romantisierende Spinnereien alter Kriegskameraden. Ich musste sogar mal, irgendwann mal Mitte der 80er, bei einem Aufnahmetest für eine Journalistenschule, einen Kommentar zum Thema Wiedervereinigung schreiben und kann mich erinnern, dass ich das Thema absonderlich fand. Ungefähr so, als hätte ich in der Schule einen Aufsatz schreiben müssen zum Thema: So stelle ich mir meine Landung auf dem Mond vor.
Es hat mich auch nicht sonderlich berührt, als 1989 die Mauer fiel. Klar, es war erlebte Geschichte, soviel leuchtete mir damals schon ein. Und als junger Journalist war es der erste wirkliche Höhepunkt meines Lebens, darüber zu schreiben; nach Berlin zu fahren an jenem Novemberabend. Und auch die Wochen vorher - aufregend, die ersten Flüchtlinge, die damals noch aus Prag über Hof kamen, in Empfang zu nehmen. Emotional allerdings ließ mich das kalt. Die erste Frage, die ich mir bei meinem ersten Rundgang durch eines der improvisierten und überfüllten Auffanglager stellte, war: Was machen wir jetzt mit denen allen? Und die ersten Gesprächsversuche mit denen, es war, als würde einer von uns serbokroatisch sprechen. Ich habe die damals angestarrt, als wären sie Marsmännchen. Aber nicht eine Sekunde habe ich gedacht: Reißt die Mauer ein! Freiheit! Wer mich für ein verwöhntes, egomanisches West-Balg aus den 80er hält, ist ausdrücklich ermuntert, dies zu tun.
Heute, 17 Jahre später, habe ich immer noch keinen einzigen Bekannten da drüben. Ich war ein einziges Mal dort, 1990, Dresden, um eine Geschichte darüber zu schreiben, wie es sich da jetzt lebt, nach dem Mauerfallrausch und mit dem einsetzenden Kater. Jetzt also soll ausgerechnet ich im Osten eine Veranstaltung bestreiten, die im Titel u.a. den Begriff "Dialog" trägt. Auf der einen Seite freue ich mich darauf, auf der anderen Seite würde ich eine Reise nach Kalifornien jetzt mit mehr Ruhe und Routine angehen, als die paar Kilometer nach "drüben".
Was auch einfach zu erklären ist: USA ist für mich wie zweite Heimat, nur mit Sonne, Kaugummi, großen Autos, übergewichtigen Menschen.
Über Sachsen weiß ich nicht mal, ob die ihre Hähnchen immer noch Broiler nennen.
Herzogspitalstr. 14 - 27. Jul, 11:15
Es gibt hier in dieser Stadt, durch die der Zug gerade lauthals rumpelt, ein Haus, das ich gerne gehabt hätte. Alter Familienbesitz, nach heutigen Maßstäben unvorstellbar, schon alleine deswegen, weil die Schreibtischhengste in den Verwaltungen für so ein Teil mit 400 qm Wohnfläche, einem wunderbaren Hinterhof und ein paar anderen exquisiten Kleinigkeiten keine Baugenehmigung erteilen würden. Es wäre nicht weit zum Flughafen, es wäre eine hübsche, idyllische Kleinstadt mit allem vor der Tür, was man zum etwas zurückgezogeneren Leben braucht. Gleichzeitig ein bisschen CSU-Mief vor der Haustür und all die kleinen Kungeleien, die Bayern so unerträglich und so charmant gleichzeitig machen. Und weil wir Niederbayern, die man nicht verstehen aber irgendwie lieb haben muss, von Haus ein störrisches Volk sind, haben wir dem Wahlkreis, in dem der Beinahe-Ministerpräsident zuhause ist, einen SPD-Landrat vor die Nase gesetzt; den einzigen weit und breit übrigens, ausstaffiert mit Mehrheiten, von denen hätte Honecker geträumt. Obwohl der Unterschied zwischen einem CSU-Mann und einem SPD-Mann so groß mittlerweile nicht mehr ist, bei Licht und ganz unideologisch betrachtet. Und das ist nicht nur in Berlin so. Ein Sozialdemokrat hier in der Prärie hat die Aufsässigkeit von jemandem, der Opus Dei, linker Flügel, zuzurechnen ist.
Immerhin, hier habe ich meine ersten Schritte unternommen, in vielerlei Hinsicht. Erst im Kindergarten und im einem wunderbaren Nachkriegs-Freibad, das dann später durch einen dieser Erlebnisbad-Klötze ersetzt wurde. Irgendwann mal dort bei der örtlichen, lokalen und selbstverständlich völlig unerträglichen Zeitung. Man hätte dort bleiben, sich arrangieren können. Mit 25 stand ich dieser Redaktion dann auch vor, ich erinnere mich, dass das zumindest vom Alter her ziemlich rekordverdächtig war. Ich könnte also heute ein gesetzter, etabalierter kleiner Zeitungsquälgeist hier sein und mir erlauben, jeden Tag nach Belieben jemanden unter Feuer zu nehmen. Lustiger Gedanke.
Genug, vorbei. Auf nach München. Und den Nachwuchs davor warnen, sich jemals solchen kleinen, eitlen Spinnereien hinzugeben.
Herzogspitalstr. 14 - 27. Jul, 07:18